Balduin Bählamm – Der verhinderte Dichter

Portrai von Balduin Bählamm

Erstes Kapitel

Wie wohl ist dem, der dann und wann
Sich etwas Schönes dichten kann!

Der Mensch, durchtrieben und gescheit,
Bemerkte schon seit alter Zeit,
Daß ihm hienieden allerlei
Verdrießlich und zuwider sei.
Die Freude flieht auf allen Wegen;
Der Ärger kommt uns gern entgegen.
Gar mancher schleicht betrübt umher;
Sein Knopfloch ist so öd und leer.
Für manchen hat ein Mädchen Reiz,
Nur bleibt die Liebe seinerseits.
Doch gibt's noch mehr Verdrießlichkeiten.
Zum Beispiel läßt sich nicht bestreiten:
Die Sorge, wie man Nahrung findet,
Ist häufig nicht so unbegründet.
Kommt einer dann und fragt: Wie geht's?
Steht man gewöhnlich oder stets
Gewissermaßen peinlich da,
Indem man spricht: Nun, so lala!
Und nur der Heuchler lacht vergnüglich
Und gibt zur Antwort: Ei, vorzüglich!
Im Durchschnitt ist man kummervoll
Und weiß nicht, was man machen soll. –

Nicht so der Dichter. Kaum mißfällt
Ihm diese altgebackne Welt,
So knetet er aus weicher Kleie
Für sich privatim eine neue
Und zieht als freier Musensohn
In die Poetendimension,
Die fünfte, da die vierte jetzt
Von Geistern ohnehin besetzt.
Hier ist es luftig, duftig, schön,
Hier hat er nichts mehr auszustehn,
Hier aus dem mütterlichen Busen
Der ewig wohlgenährten Musen
Rinnt ihm der Stoff beständig neu
In seine saubre Molkerei.
Gleichwie die brave Bauernmutter.
Tagtäglich macht sie frische Butter.
Des Abends spät, des Morgens frühe
Zupft sie am Hinterleib der Kühe
Mit kunstgeübten Handgelenken
Und trägt, was kommt, zu kühlen Schränken,
Wo bald ihr Finger, leicht gekrümmt,
Den fetten Rahm, der oben schwimmt,
Beiseite schöpft und so in Masse
Vereint im hohen Butterfasse.
Jetzt mit durchlöchertem Pistille
Bedrängt sie die geschmeid'ge Fülle.
Es kullert, bullert, quitscht und quatscht,
Wird auf und nieder durchgematscht,
Bis das geplagte Element
Vor Angst in Dick und Dünn sich trennt.
Dies ist der Augenblick der Wonne.
Sie hebt das Dicke aus der Tonne,
Legt's in die Mulde, flach von Holz,
Durchknetet es und drückt und rollt's,
Und sieh, in frohen Händen hält se
Die wohlgeratne Butterwälze.

So auch der Dichter. – Stillbeglückt
Hat er sich was zurechtgedrückt
Und fühlt sich nun in jeder Richtung
Befriedigt durch die eigne Dichtung.
Doch guter Menschen Hauptbestreben
Ist, andern auch was abzugeben.
Der Dichter, dem sein Fabrikat
So viel Genuß bereitet hat,
Er sehnt sich sehr, er kann nicht ruhn,
Audi andern damit wohlzutun;
Und muß er sich auch recht bemühn,
Er sucht sich wen und findet ihn;
Und sträubt sich der vor solchen Freuden,
Er kann sein Glück mal nicht vermeiden.
Am Mittelknopfe seiner Weste
Hält ihn der Dichter dringend feste,
Führt ihn beiseit zum guten Zwecke
In eine lauschig stille Ecke,
Und schon erfolgt der Griff, der rasche,
Links in die warme Busentasche,
Und rauschend öffnen sich die Spalten
Des Manuskripts, die viel enthalten.
Die Lippe sprüht, das Auge leuchtet,
Des Lauschers Bart wird angefeuchtet,
Denn nah und warm, wie sanftes Flöten,
Ertönt die Stimme des Poeten. –
Vortrefflich! ruft des Dichters Freund;
Dasselbe, was der Dichter meint;
Und, was er sicher weiß, zu glauben,
Darf sich doch jeder wohl erlauben.

Wie schön, wenn dann, was er erdacht,
Empfunden und zurechtgemacht,
Wenn seines Geistes Kunstprodukt,
Im Morgenblättchen abgedruckt,
Vom treuen Kolporteur geleitet,
Sich durch die ganze Stadt verbreitet.
Das Wasser kocht. – In jedem Hause,
Hervor aus stiller Schlummerklause,
Eilt neugestärkt und neugereinigt,
Froh grüßend, weil aufs neu vereinigt,
Hausvater, Mutter, Jüngling, Mädchen
Zum Frühkaffee mit frischen Brötchen.
Sie alle bitten nach der Reihe
Das Morgenblatt sich aus, das neue,
Und jeder stutzt und jeder spricht:
Was für ein reizendes Gedicht!
Durch die Lorgnetten, durch die Brillen,
Durch weit geöffnete Pupillen,
Erst in den Kopf, dann in das Herz,
Dann kreuz und quer und niederwärts
Fließt's und durchweicht das ganze Wesen
Von allen denen, die es lesen.
Nun lebt in Leib und Seel der Leute,
Umschlossen vom Bezirk der Häute
Und andern warmen Kleidungsstücken,
Der Dichter fort, um zu beglücken,
Bis daß er schließlich abgenützt,
Verklungen oder ausgeschwitzt.
Ein schönes Los! Indessen doch
Das allerschönste blüht ihm noch.
Denn Laura, seine süße Qual,
Sein Himmelstraum, sein Ideal,
Die glühend ihm entgegenfliegt,
Besiegt in seinen Armen liegt,
Sie flüstert schmachtend inniglich:
»Göttlicher Mensch, ich schätze dich!
Und daß du so mein Herz gewannst,
Macht bloß, weil du so dichten kannst!!
Oh, wie beglückt ist doch ein Mann,
Wenn er Gedichte machen kann!

Baldium Bählamm

Zweites Kapitel

Ein guter Mensch, der Bählamm hieß
Und Schreiber war, durchschaute dies.
Nicht, daß es ihm an Nahrung fehlt.
Er hat ein Amt, er ist vermählt.
Und nicht bloß dieses ist und hat er;
Er ist bereits auch viermal Vater.
Und dennoch zwingt ihn tiefes Sehnen,
Sein Glück noch weiter auszudehnen.
Er möchte dichten, möchte singen,
Er möchte was zuwege bringen
Zur Freude sich und jedermannes;
Er fühlt, er muß und also kann es.

Baldium Bählamm geht in den Park

Der Muße froh, im Paletot,
Verläßt er abends sein Bureau.
Er eilt zum Park, um hier im Freien
Den holden Musen sich zu weihen.

Natürlich einer, der wie er
Gefühlvoll und gedankenschwer,
Mag sich an weihevollen Plätzen
Beim Dichten gern auch niedersetzen.

Park ist voll

Doch schon besetzt ist jeder Platz
Von Leuten mit und ohne Schatz.

Da lenkt er doch die Schritte lieber
Zum Keller, der nicht fern, hinüber.

Baldium setzt sich auf eine leere Bank

Er wählt sich unter vielen Bänken
Die Bank, die angenehm zum Denken.

Baldium und die Kellnerin

Zwar erst verwirrte seinen Sinn
Das Nahgefühl der Kellnerin;

Baldium beim Trinken

Doch führt ihn bald ein tiefer Zug
Zu höherem Gedankenflug.

Baldiums Geistesblitz

Schon brennt der Kopf, schon glüht der Sitz,
Schon sprüht ein heller Geistesblitz;
Schon will der Griffel ihn notieren;
Allein es ist nicht auszuführen,

Baldium und ein Freund

Der Hut, als Dämpfer der Ekstase,
Sinkt plötzlich tief auf Ohr und Nase.
Ein Freund, der viel Humor besaß,
Macht sich von hinten diesen Spaß.

Baldium geht nach Hause

Empört geht Bählamm fort nach Haus.
Der Freund trinkt seinen Maßkrug aus.

Baldium schmückt sich

Zu Hause hängt er Hut und Rock
An den gewohnten Kleiderstock
Und schmückt in seinem Kabinett
Mit Joppe sich und Samtbarett,
Die, wie die Dichtung Vers und Reim,
Den Dichter zieren, der daheim.

Bählamm überlegt

Scharf sinnend geht er hin und wider,
Bald schaut er auf, bald schaut er nieder.

der Gedanke

Jetzt steht er still und ruft: "Aha!"
Denn schon ist ein Gedanke da.

Balduins Frau und Rechnung vom Schuster

Schnell tritt Frau Bählamm in die Tür,
Sie hält in Händen ein Papier.
Sie ruft: "Geliebter Balduin!
Du mußt wohl mal den Beutel ziehn.
Siehst du die Rechnung breit und lang?
Der Schuster wartet auf dem Gang."

Besonders tief und voll Empörung
Fühlt man die pekuniäre Störung.

Balduin denkt wieder

's ist abgetan. – Das Haupt gesenkt,
Steht er schon wieder da und denkt.

Balduins herrliche Idee

Begeistert blickt er in die Höh:
"Willkommen, herrliche Idee!"
Auf springt die Tür. – An Bein und Arm
Geräuschvoll hängt der Kinderschwarm. –

Kinderschwarm kommt zur Tür hinein

"Ho!" – ruft der Franzel – "Kinder hört!
Jetzt spielen wir mal Droschkenpferd!
Papa ist Gaul und Kutscher ich."
"Ja!" – ruft die Gustel – "Fahre mich!"
"Ich" – ruft der Fritz – "will hinten auf!
Hopp hopp, du altes Pferdchen, lauf!"

Balduin und die Kinder

"Hüh!" – ruft der kleine Balduin –
"Will er nicht ziehn, so hau ich ihn!" –

Wer kann bei so bewandten Dingen
Ein Dichterwerk zustande bringen? –

Nun meint man freilich, sei die Nacht,
Um nachzudenken, wie gemacht.
Doch oh! wie sehr kann man sich täuschen!
Es fehlt auch ihr nicht an Geräuschen.

Der Papa hat sich ausgestreckt,
Gewissenhaft sich zugedeckt;
Warm wird der Fuß, der Kopf denkt nach;
Da geht es Bäh! vielleicht nur schwach.
Doch dieses Bäh erweckt ein zweites,

Kinder liegen im Bett

Dann Bäh aus jeder Kehle schreit es.
Aus Mamas Mund ein scharfes Zischen,
Bedrohlich schwellend, tönt dazwischen,
Und Papas Baß, der grad noch fehlte,
Verstärkt zuletzt das Tongemälde.
Wie peinlich dies, ach, das ermißt
Nur der, der selber Vater ist.



Bählamm

Drittes Kapitel

Ein großer Geist, wie Bählamm seiner,
Ist nicht so ratlos wie ein kleiner.
Er sieht, ihm mangelt bloß im Grunde
Der stille Ort, die stille Stunde,
Um das, was nötig ist zum Dichten,
Gemächlich einsam zu verrichten;
Und allsogleich spricht der Verstand:
Verlaß die Stadt und geh aufs Land!
Wo Biederkeit noch nicht veraltet,
Wo Ruhe herrscht und Friede waltet!

Bählamm reisefertig

Leicht reisefertig ist zumeist
Ein Mensch, wenn er als Dichter reist.

Die kleine Tasche, buntgestickt,
Ist schnell gefüllt und zugedrückt.
Ein Hut von Stroh als Sommerzier,
Ein Dichterkragen von Papier,
Das himmelblaue Flattertuch,
Der Feldstuhl, das Notizenbuch,
Ein Bleistift Nr. 4 und endlich
Das Paraplü sind selbstverständlich.

mit Familie zum Bahnhof

Zum Bahnhof führt ihn die Familie.

Bählamm verabschiedet sich von der Familie

Hier spricht er: "Lebe wohl, Cäcilie!
Ich bring euch auch was Schönes mit!"
Dann schwingt er sich mit leichtem Schritt,
Damit er nicht die Zeit verpasse,
In die bekannte Dichterklasse.
Der Pfiff ertönt. Die Glocke schlug.

Balduin fährt mit dem Zug davon

Fort schlängelt sich der Bummelzug.
Vorüber schnell und schneller tanzen,
Durch Draht verknüpft zu einem Ganzen,
Die schwesterlich verwandten langen
Zahlreichen Telegraphenstangen.
Der Wald, die Wiesen, das Gefilde,
Als unstet wirbelnde Gebilde,
Sind lästig den verwirrten Sinnen.
Gern richtet sich der Blick nach innen.
Ein leichtes Rütteln, sanftes Schwanken
Erweckt und sammelt die Gedanken.
Manch Bild, was sich versteckt vielleicht,
Wird angeregt und aufgescheucht.

Einfall neuer Gedanken im Zug

Bald fühlt auch Bählamm süßbeklommen
Die herrlichsten Gedanken kommen.

Ein langer Pfiff. – Da hält er schon
Auf der ersehnten Bahnstation.

vor der Tür wohlgenährter Passagier

Ein wohlgenährter Passagier
In Nägelschuhen wartet hier.

Passagier zwängt sich ins Coupe

Er zwängt sich hastig ins Coupé.

Er tritt auf Bählamms Zeh

Pardon! – Er tritt auf Bählamms Zeh.

Des Lebens Freuden sind vergänglich;
Das Hühnerauge bleibt empfänglich.

Wie dies sich äußert, ist bekannt.

Balduin schmerzt der Zeh

Krumm wird das Bein und krumm die Hand;
Die Augenlöcher schließen sich,
Das linke ganz absonderlich;
Dagegen öffnet sich der Mund,
Als wollt er flöten, spitz und rund.


Zwar hilft so eine Angstgebärde
Nicht viel zur Lindrung der Beschwerde;
Doch ist sie nötig jederzeit
Zu des Beschauers Heiterkeit.



Balduin sieht ein Dorf

Viertes Kapitel

Wie lieb erscheint, wie freundlich winkt
Dem Dichter, der noch etwas hinkt,
Des Dörfleins anspruchloses Bild,
In schlichten Sommerstaub gehüllt.

Knabe mit Hakenstab und Pfeifchen

Hier reitet Jörg, der kleine Knabe,
Auf seinem langen Hakenstabe,
Die Hahnenfeder auf der Mütze,
Kindlich naiv durch eine Pfütze.
Dort mit dem kurzen Schmurgelpfeifchen
Auf seinem trauten Düngerhäufchen
Steht Krischan Bopp und füllt die Luft
Mit seines Krautes Schmeichelduft.

ein Mädchen reinigt den Ziegenstall

Er blickt nach Rieke Mistelfink,
Ein Mädel sauber, stramm und flink.
Sie reinigt grad den Ziegenstall;
Und Friede waltet überall.
Sofort im ländlichen Logis
Geht Bählamm an die Poesie.
Er schwelgt im Sonnenuntergang,

Bählamm lauscht dem Herdenglockenklang

Er lauscht dem Herdenglockenklang,
Und ahnungsfroh empfindet er's:
Glück auf! Jetzt kommt der erste Vers!
Klirrbatsch! Da liegt der Blumentopf.
Es zeigt sich ein gehörnter Kopf,
Das Maulwerk auf, die Augen zu,
Und plärrt posaunenhaft: Ramuh!!

die Kuh muht ihm ins Ohr

Erschüttert gehen Vers und Reime
Mitsamt dem Kunstwerk aus dem Leime.
Das tut die Macht der rauhen Töne.

die Kuh geht weiter

Die Sängerin verläßt die Szene.

Fünftes Kapitel

Die Nacht verstrich. Der Morgen schummert.
Hat unser Bählamm süß geschlummert?
Kennst du das Tierlein leicht beschwingt,
Was, um die Nase schwebend, singt?
Kennst du die andern, die nicht fliegen,
Die leicht zu Fuß und schwer zu kriegen?

Bählamm zerstochen im Gesicht

Betrachte Bählamm sein Gesicht.
Du weißt Bescheid, drum frage nicht.

Balduin unterm Flieder, hinter ihm der Knabe Jörg

Hier auf dem Dreifuß unterm Flieder
Sitzt er bereits und dichtet wieder.
Der Knabe Jörg, in froher Laune,
Bemerkt ihn durch ein Loch im Zaune,

Jörg zieht die Nadel, durchbohrt die Hackenspitze

Er zieht die Nadel aus der Mütze,
Durchbohrt damit die Hakenspitze,

der Knabe beginnt mit seinem Scherz

Und hat verschmitzt auch schon begonnen
Den kleinen Scherz, den er ersonnen.

Bählamm greift sich ins Genick

Der Dichter greift sich ins Genicke.
Mal wieder, denkt er, eine Mücke.

verwundert schaut Balduin in seine Hand

Er nimmt die Hand in Augenschein.
Es mußte doch wohl keine sein.

der Knabe sticht ihm in den Po

Kaum hat er dies als wahr befunden,
So kommt ein Stich direkt von unten.

Bählamm legt ein Tuch auf den Stuhl

Um diese Gegend zu beschützen,
Kann man das Sacktuch auch benützen.

der Knabe sticht in Bählamms Hut

Insoweit wäre alles gut.
O weh! Wohin entschwebt der Hut?
"Ein leichtes Kräusellüftchen!" rief er,
Holt seinen Hut und setzt ihn tiefer.

der Knabe zieht den Hocker zurück

Ganz arglos will er sich soeben
Zurück auf seinen Sitz begeben.
Doch die gewohnte Stütze mangelt.
Der Dreifuß wird hinweggeangelt.

Bählamm vermutet das hinter dem Zaun jemand ist

Anstatt in den bequemen Sessel,
Setzt er sich in die scharfe Nessel.
Und hell durchblitzt ihn der Gedanke:
Es sitzt wer hinter dieser Planke!

der Knabe wartet ab

Sehr gut in solchen Fällen ist
Bedachtsamkeit, gepaart mit List.

Balduin ist auf der Hut

Verlockend und zugleich gespannt
Setzt er sich wieder vor die Wand.

Balduin ergreift die Nadel

Aha! Und jetzt wird zugefaßt,
Und trefflich hat er's abgepaßt;

Denn grad im Zentrum bohrte sich
Durch seine Hand der Nadelstich.

Balduin schmerzt die Hand und Jörg entfernt sich

Natürlich macht ihn das nervos.
Der Jörg entfernt sich sorgenlos.

Sechstes Kapitel

In freier Luft, in frischem Grün,
Da, wo die bunten Blümlein blühn,
In Wiesen, Wäldern, auf der Heide,
Entfernt von jedem Wohngebäude,
Auf rein botanischem Gebiet,
Weilt jeder gern, der voll Gemüt.

Balduin liegt auf der Wiese

Hier legt sich Bählamm auf den Rücken
Und fühlt es tief und mit Entzücken,
Nachdem er Bein und Blick erhoben:
Groß ist die Welt, besonders oben!
Wie klein dagegen und beschränkt
Zeigt sich der Ohrwurm, wenn er denkt.

Balduin in Gedanken

Engherzig schleicht er durch das Moos,
Beseelt von dem Gedanken bloß,
Wo's dunkel sei und eng und hohl,
Denn da nur ist ihm pudelwohl.

Balduin in Gedanken

Grad wie er wünscht und sehr gelegen
Blinkt ihm des Dichters Ohr entgegen.
In diesen wohlerwärmten Räumen,
So denkt er, kann ich selig träumen.
Doch wenn er glaubt, daß ihm hienieden
Noch weitre Wirksamkeit beschieden,
So irrt er sich. – Ein Winkelzug
Von Bählamms Bein, der fest genug,

Bählamm tritt auf Wurm

Zerstört die Form, d.h. so ziemlich,
Die diesem Wurme eigentümlich,
Und seinem Dasein als Subjekt
Ist vorderhand ein Ziel gesteckt.
Sogleich und mit gewisser Schnelle
Vertauscht der Dichter diese Stelle
Für eine andre, mehr erhöht,
Allwo ein Bäumlein winkend steht.

Bählamm lauscht der Natur

Ein Vöglein zwitschert in den Zweigen;
Dem Dichter wird so schwül und eigen.
Die Stirn umsäuseln laue Lüfte;
Es zuckt der Geist im Faberstifte.

Vogel kackt auf Balduin

Pitschkleck! – Ein Fleck. Ein jäher Schreck.
Erleichtert fliegt das Vöglein weg.
Indessen auch der andre Sänger
Verweilt an diesem Ort nicht länger.

ein Unwetter zieht auf

Den Himmel, der noch eben blau,
Umwölkt ein ahnungsvolles Grau.

Balduin mit Regenschirm im Regen

Vor Regen schützt die Scheidewand
Des Schirmes, wenn er aufgespannt.

durchbohrt wird der Schirm von Krischan

Verquer durch Regen und Gestrüppe
Kommt Krischan mit der scharfen Hippe.
Vom Regen ist der Blick umflort,
Und richtig wird der Schirm durchbohrt.

Bählamm ist betrübt

Betrübend ist und wenig nütze
Das Paraplü mit einem Schlitze;
Doch ist noch Glück bei jedem Hieb,
Wobei der Kopf heroben blieb.
Auch braucht man, läßt der Regen nach,
Ja sowieso kein Regendach.

Begegnung mit Rieke

Und hier, begleitet von der Ziege,
Kommt Rieke über eine Stiege;

Rieke bekommt von Balduin einen Strauß

Und Bählamm, wie die Dichter sind,
Will diesem anmutsvollen Kind
Als Huldigung mit Scherz und Necken
Ein Sträußlein an den Busen stecken.

Rieke klatscht Bählamm ins Gesicht mit der Hand

Ein Prall – ein Schall – dicht am Gesicht –

Balduin verliert das Gleichgewicht

Verloren ist das Gleichgewicht.

Balduin schaut verwundert

So töricht ist der Mensch. – Er stutzt,
Schaut dämisch drein und ist verdutzt,
Anstatt sich erst mal solche Sachen
In aller Ruhe klarzumachen.

Hier strotzt die Backe voller Saft;
Da hängt die Hand, gefüllt mit Kraft.
Die Kraft, infolge von Erregung,
Verwandelt sich in Schwungbewegung.
Bewegung, die in schnellem Blitze
Zur Backe eilt, wird hier zu Hitze.
Die Hitze aber, durch Entzündung
Der Nerven, brennt als Schmerzempfindung
Bis in den tiefsten Seelenkern,
Und dies Gefühl hat keiner gern.

Ohrfeige heißt man diese Handlung, Der Forscher nennt es Kraftverwandlung.

Siebentes Kapitel

Der Mond. Dies Wort so ahnungsreich,
So treffend, weil es rund und weich –
Wer wäre wohl so kaltbedächtig,
So herzlos, hart und niederträchtig,
Daß es ihm nicht, wenn er es liest,
Sanftschauernd durch die Seele fließt?

Das Dörflein ruht im Mondenschimmer,
Die Bauern schnarchen fest, wie immer.
Es ruhn die Ochsen und die Stuten,
Und nur der Wächter muß noch tuten,
Weil ihn sein Amt dazu verpflichtet,

Balduin dichtet

Der Dichter aber schwärmt und dichtet.

Rieke winkt zu Balduin

Was ist da drüben für ein Wink?
Ist das nicht Rieke Mistelfink?
Ja, wie es scheint, hat sie bereut
Die rücksichtslose Sprödigkeit.
Der Dichter fühlt sein Herz erweichen.
Er folgt dem liebevollen Zeichen.

in ein beschränktes Stallokal srängt sich Balduin

Er drängt sich, nicht ganz ohne Qual,
In ein beschränktes Stallokal.

Ziege empfängt Bählamm

Mit einem Mäh! mit einem langen
Sieht er sich unverhofft empfangen.

Ziege sticht ihm in die Seite

Doch nur ein kurzes Meck begleitet
Den Seitenstich, der Schmerz bereitet.

ein Stoß in den Magen

Ein Stoß grad in die Magengegend
Ist aber auch sehr schmerzerregend.

Balduin sucht Schutz im Korb

Daß selbst ein Korb in solcher Lage
Erwünscht erscheint, ist keine Frage.

Ziege stößt Balduin in den Korb

Bedeckung findet sich gar leicht;
Es fragt sich nur, wie weit sie reicht.

Rieke und Krischan kommen herbei

Und grade kommt die Rieke hier,
Der Krischan emsig hinter ihr;
Sie mit vergnügtem Mienenspiel,
Er mit dem langen Besenstiel.

Krischan schiebt den Besenstil durch die Henkel des Korbes

Er schiebt ihn durch des Korbes Henkel
Und zwischen Bählamm seine Schenkel.
Nachdem er sicher eingesackt,
Wird er gelupft und aufgepackt.

Krischan und Rieke schleppen Balduin ab

Er strampelt sehr, denn schwer im Sinn
Liegt ihm die Frage: Ach, wohin?
Ein Wasser, mondbeglänzt und kühl,
Ist das erstrebte Reiseziel,

Krischan und Rieke tauchen Balduin ins Wasser

Und angelangt bei diesem Punkt
Wird fleißig auf und ab getunkt;

das Liebespaar kehrt zurück nach Hause

Worauf, nachdem der Korb geleert,
Das Liebespaar nach Hause kehrt.

Bählamm schmerzt der Backenzahn

Achtes Kapitel

Es tut nicht gut, wenn man im Bad
Und nur die Füße draußen hat.
Auch Bählamm hat's nicht wohlgetan.
Es zog ihm in den Backenzahn.

Das Zahnweh, subjektiv genommen,
Ist ohne Zweifel unwillkommen;
Doch hat's die gute Eigenschaft,
Daß sich dabei die Lebenskraft,
Die man nach außen oft verschwendet,
Auf einen Punkt nach innen wendet
Und hier energisch konzentriert.
Kaum wird der erste Stich verspürt,
Kaum fühlt man das bekannte Bohren,
Das Rucken, Zucken und Rumoren –
Und aus ist's mit der Weltgeschichte,
Vergessen sind die Kursberichte,
Die Steuern und das Einmaleins.
Kurz, jede Form gewohnten Seins,
Die sonst real erscheint und wichtig,
Wird plötzlich wesenlos und nichtig.
Ja, selbst die alte Liebe rostet –
Man weiß nicht, was die Butter kostet –
Denn einzig in der engen Höhle
Des Backenzahnes weilt die Seele,
Und unter Toben und Gesaus
Reift der Entschluß: Er muß heraus!! –

Noch eh' der neue Tag erschien,
War Bählamm auch so weit gediehn.

Bählamm klingelt beim Doktor

Er steht und läutet äußerst schnelle
An Doktor Schmurzel seiner Schelle.

aus dem Bett kommt der Doktor

Der Doktor wird von diesem Lärme
Emporgeschreckt aus seiner Wärme.
Indessen kränkt ihn das nicht weiter;
Ein Unglück stimmt ihn immer heiter.

der Doktor empfängt Bählamm

Er ruft: "Seid mir gegrüßt, mein Lieber! Lehnt Euch gefälligst hintenüber! Gleich kennen wir den Fall genauer!"

Bählamms Zähne werden untersucht

(Der Finger schmeckt ein wenig sauer.) "Nun stützt das Haupt auf diese Lehne

Bählamm denkt an was Schönes

Und denkt derweil an alles Schöne!

mit Zange in Balduins Mund

Holupp!! Wie ist es? Habt Ihr nichts gespürt?"
"Ich glaub, es hat sich was gerührt!"

Doktor hat das Problem erkannt

"Da dies der Fall, so gratulier ich!
Die Sache ist nicht weiter schwierig!

Doktor versucht den Zahn zu ziehen

Hol – – – upp!!!"
Vergebens ist die Kraftentfaltung;
Der Zahn verharrt in seiner Haltung.

Doktor erklärt das Hinderniss

"Hab's mir gedacht!« sprach Doktor Schmurzel,
"Das Hindernis liegt in der Wurzel.
Ich bitte bloß um drei Mark zehn!

Balduin geht zurück nach Hause

Recht gute Nacht! Auf Wiedersehn!"

Balduin schmerzt der Zahn

Neuntes Kapitel

Dem hohen lyrischen Poeten
Ist tiefer Schmerz gewiß vonnöten;
Doch schwerlich, ach, befördert je
Das ganz gewöhnliche Wehweh,
Wie Bählamm seines zum Exempel,
Den Dichter in den Ruhmestempel.

Die Backe schwillt. – Die Träne quillt.
Ein Tuch umrahmt das Jammerbild.

Verhaßt ist ihm die Ländlichkeit
Mit Rieken ihrer Schändlichkeit,
Mit Doktor Schmurzels Chirurgie,
Mit Bäumen, Kräutern, Mensch und Vieh,
Und schmerzlich dringend mahnt die Backe:
Oh, kehre heim! Doch vorher packe!

Bählamm packt seine Sachen

Gern möcht er still von dannen scheiden,
Gern jede Ovation vermeiden,
Allein ihm bleibt bei seiner Fahrt
Ein Lebewohl nicht ganz erspart.

Balduin auf dem Weg nach Hause

Meckmeck! so schallt's aus jener Ecke;
Meckmeck! ruft einer durch die Hecke,
Meckmeck! so schmettert's in der Näh,
Und Riekens Ziege macht mähhäh!


Da wundert sich wohl mancher sehr,
Wie's möglich sei, daß ein Malör
So schleunige Verbreitung finde.
Der Weise schweigt. Er kennt die Gründe.

Frau mit Kind im Coupe

Als Bählamm sein Coupé erreicht,
Wird ihm verhältnismäßig leicht.

'ne Frau, 'n Kind und eine Tasche,
Worin die Gummistöpselflasche,
Sind unsers Reisenden Begleiter.
Der Säugling zeigt sich äußerst heiter.
Er strebt und webt mit Händ und Füßen,
Er läßt sein Mäulchen überfließen;
Er ist so süß, daß fast mit Recht
Ein Junggesell ihn küssen möcht.
O weh! Die Fröhlichkeit entweicht.
Wohlmeinend wird ihm dargereicht
Das Glas, woraus er sich ernährt;

Baby leidet

Er lehnt es ab; er ist empört;
Und penetrant, gleich der Trompete,
Klagt er in Tönen seine Nöte.
Die Mutter seufzt. Der Trank ist kalt.
Wohl uns! Hier hat man Aufenthalt.

Frau übergibt Bählamm ihr Baby

"Ach!" – bat sie – "halten S' ihn mal eben,
Ich muß ihm etwas Warmes geben!"
Sie eilt hinaus ins Restaurant.
Der Zug hält drei Minuten lang.

Säugling sitzt auf Bählamms Schoß

Einsteigen! Fertig! Pfüt! – Und los,
Mit seinem Säugling auf dem Schoß,
Mit dicker Backe, wehem Zahn,
Rollt er dahin per Eisenbahn
Der Heimat zu und trifft um neun
Präzise auf dem Bahnhof ein.
Der Säugling, des Gesanges müde,
Ruht aus von seinem Klageliede,
Umhüllt mit einer warmen Windel,
Auf Bählamms Arm als stilles Bündel.
Trotzdem hat Bählamm das Bestreben,
Ihn möglichst baldig abzugeben.

Bählamm möchte dem Schaffner das Baby überreichen aber er bedankt sich höfflich

Der Schaffner, ohne Mitgefühl,
Bedankt sich höflich, aber kühl.

Bahnverwalter bedankt sich ebenfalls höfflich

Desgleichen auch der Bahnverwalter;

Mann am Schalter bedankt sich auch höfflich

Desgleichen auch der Mann am Schalter.


So muß er sich denn wohl bequemen,
Sein Bündel mit nach Haus zu nehmen.

die Familie holt Balduin vom Bahnhof ab

"Der Papa kommt!" so rufen hier
Die frohen Kinder alle vier.
"Und" – sprach die Mutter – "gebt mal acht!
Er hat was Schönes mitgebracht!"

Bählamms Frau ist nicht sehr erfreut

Jedoch bei näherer Belehrung
Wie wenig schätzt sie die Bescherung.

Bählamms Frau wird ohnmächtig

"Oh!" – ruft sie – "Aber Balduin!"
Dann wird's ihr vor den Augen grün.

die Mutter des Babys erscheint

Zum Glück in diesem Ungemach
Kommt bald des Knaben Mutter nach.
Zwar ist die Flasche kalt wie nie,

Balduin und seine Frau sind erleichtert

Doch weil's pressiert, so nimmt er sie.
Der Abschied war nicht sehr beschwerlich,
Was auch bei Bählamm sehr erklärlich;
Denn gerne gibt man aus der Hand
Den Säugling, der nicht stammverwandt.



Balduin liegt träumend im Bett

Schluß

Sofort legt Bählamm sich zur Ruh.
Die Hand der Gattin deckt ihn zu.
Der Backe Schwulst verdünnert sich;
Sanft naht der Schlaf, der Schmerz entwich,
Und vor dem innern Seelenraum
Erscheint ein lockend süßer Traum.

ein Engel kommt herbei

Ihm war als ob, ihm war als wie,
So unaussprechlich wohl wie nie.
Hernieder durch das Dachgebälke,
Auf rosenrotem Duftgewölke,
Schwebt eine reizend wundersame
In Weiß gehüllte Flügeldame,
Die winkt und lächelt, wie zum Zeichen,
Als sollt er ihr die Hände reichen;
Und selbstverständlich wunderbar
Erwächst auch ihm ein Flügelpaar;

Und selig will er sich erheben,
Um mit der Dame fortzuschweben.

Balduins Familie hängt an seinen Beinen

Doch ach! Wie schaudert er zusammen!
Denn wie mit tausend Kilogrammen
Hängt es sich plötzlich an die Glieder,
Hemmt das entfaltete Gefieder
Und hindert, daß er weiterfliege.
Hohnlächelnd meckert eine Ziege.
Die himmlische Gestalt verschwindet,
Und nur das eine ist begründet,
Frau Bählamm ruft, als er erwacht:

Bählamm erwacht aus dem Schlaf

"Heraus, mein Schatz! Es ist schon acht!"

Balduin geht in sein Büro

Um neune wandelt Bählamm so
Wie ehedem auf sein Büro. –

So steht zum Schluß am rechten Platz
Der unumstößlich wahre Satz:
Die Schwierigkeit ist immer klein,
Man muß nur nicht verhindert sein.

Engel

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